Über die Liebe und das Coaching.

Man muss nicht auf Erich Fromm zurückgreifen, um zu begreifen, dass Liebe nicht nur eine poetische Einheit ist, sondern auch und zuallererst eine zutiefst menschliche. Überraschenderweise auch eine wirtschaftliche, obwohl ja ein bestimmter, antiquierter Managertypus immer noch der Illusion anhängt, die besten Ergebnisse ließen sich mit gefletschten Zähnen erreichen. Wo sowas hinführt, erleben wir gerade bei VW, wo laut Medienberichten ein ziemliches Angstklima geherrscht haben muss. Deutsche Bank wäre ja auch so ein Thema. Aus meinen zwanzig Jahren als Agenturchef in Bonn könnte ich noch ein paar interessante Namen drauflegen.

Wer nun der Meinung ist, ich würde dafür plädieren, dass Chefs zu Arbeitsbeginn ihre Mitarbeiter herzen – bei Mitarbeiterinnen soll das schon mal der Fall sein -, der will einen ernsthaften Gedanken durch Veralberung abwehren. Und Abwehr ist ja ein großes Thema, wenn es um Veränderungen geht. Nur zeigt sie sich so gut wie nie direkt, sondern sie camoufliert sich: durch verkopfte Gegenargumente, vermeidende Alternativstrategien, bisweilen auch Flucht und einiges mehr. Als analytisch arbeitender Coach weiß man dann: Der Klient ist kurz vorm Siedepunkt. Entscheidend ist, ob er jetzt standhält oder abhaut. Im ersteren Falle kommen beträchtliche Änderungsprozesse in Gang und initiieren oftmals völlig unerwartete Erfolge. Im zweiten Fall braucht man als Coach gute Nerven, aber die hab ich. Denn auch Widerstand ist eine Information, und nicht  nur der geniale Wilhelm Reich hat sich ausführlich mit ihm beschäftigt.

Aber was hat das mit Liebe zu tun? Nach vierzehn Jahren Coaching-Erfahrung: Am Ende hat ALLES mit Liebe zu tun.

Ein Manager aus dem Hessischen, der mich anrief und tags darauf schon buchstäblich in mein Büro gestürzt kam, hatte so ein Problem. Natürlich erst mal camoufliert als Erschöpfungsdepression, man kann sich drauf verlassen, dass die „Eingangsdiagnose“ immer nur die Eingangstür ist zu tiefer liegenden, unbewussten Konflikten.  – Jedenfalls: Er war völlig festgebissen in einer Art Dauerkonflikt mit seinem Produktvorstand, der ihn – so erlebte er es – klein hielt und ihn nach allen Regeln der Kunst fertigmachte. Nun gibt es Narzissten und Sadisten überall. Denen gibt man eins zwischen die Hörner, und wenn´s nicht hilft, wechselt man besser den Job. Hier jedoch war jemand dabei, permanent in ein ausgestrecktes Messer zu laufen. Ritualhaft wiederkehrend holte er sich die Ohrfeigen ab. Da muss man ja wachwerden, so als Coach.

Das Augenfällige war, dass der Klient dabei kindlich auf mich wirkte, so dass sich bald die Vermutung einstellte: Hier lebt jemand ein kindliches Problem aus, ohne es zu merken, und er wirkt dabei wie ein verschüchterter Junge, der auf irgendetwas hofft, was er nicht bekommt. Bekommen hat er einen Rüffel nach dem anderen, ohne sich irgendeiner Schuld bewusst zu sein. Doch schien mir mehr und mehr, dass er sich diese Situationen auf das Sorgfältigste selbst konstruierte. Anders ließ sich die Häufung nicht mehr erklären. Und auch die tiefe Verletztheit, mit der er dann reagierte, zeigte mir, dass es längst nicht mehr nur um ein Jobproblem gehen konnte.

Versucht man, solche Kausalitäten aufzudecken, ertönt garantiert die wütende Replik des empörten Klienten: „Wollen Sie mir damit sagen, dass ICH schuld bin?“ – Aber es geht nicht um Schuld. Schuld ist das Letzte, was hier interessiert. Ursächlichkeit und verborgene Muster schon viel mehr. Nur so kommt einer raus aus dem Hamsterrad.

Es ist gar nicht so selten, dass jemand sich unbewusst repetierend Situationen organisiert, in denen er sich dieselben Verletzungen wieder und wieder verschafft. Die Psychoanalyse bezeichnet es als Wiederholungszwang. Vertiefende Gespräche ergeben: Der Klient bietet seinem Produktvorstand eine Leistung an und erwartet dafür nicht nur Anerkennung, sondern auch, von ihm „als Mensch endlich angenommen“ zu werden. Und baut unbewusst kleine Kinken und Ungeschicklichkeiten ein, die auf ihn zurückfallen, wobei er sie als solche gar nicht erkennt. Inzwischen ist er seelisch übel zugerichtet. Der Boss hat vor wenigen Tagen gesagt: „Meine Geduld mit ihnen geht zu Ende!“ Feueralarm.

Fakt ist: der Klient soll eine Arbeitsleistung erbringen, doch erwartet er vom Vorgesetzten nichts weniger, als dass der ihm darüber hinaus endlich seinen Wert als Mensch bestätige. So etwas kann ein Produktvorstand nicht leisten, ist auch gar nicht seine Aufgabe. Nur zeigt die Psychodynamik, dass nahezu die gesamte Lebenskonzeption meines Klienten darauf ausgerichtet ist, ein tiefsitzendes Entwertungsgefühl zu überwinden: durch Nachgiebigkeit (am falschen Platz); durch Selbstausbeutung; durch Stillhalten, wo Standhalten geboten wäre. – Hier schreit ein Kind, und zwar kräftig.

Die Situation bessert sich kurzfristig, als der Produktvorstand unerwartet die Firma wechselt und sein Posten für ein paar Wochen vakant bleibt. Doch bald schon setzt eine Art vorauseilender Entwertung ein: die Phantasien des Klienten richten sich darauf, wie der noch gar nicht existierende Neue ihn weiterhin fertig machen wird. Woher, fragt man sich, kommt diese tiefsitzende Entwertungsangst, die offenbar so komplex ist, dass sie positive Erfahrungen schon a priori ausschließt? Die Visualisierungen des Klienten bilden die Vorstellung ab, der Neue werde ihn „endgültig erledigen“. Strange, indeed.

Wehe dem Coach, der nicht bereit ist zu lernen. Klar, denke ich mir erst mal: frühkindliche Entwertungserlebnisse; maybe ein autoritärer Vater; maybe eine kaltherzige Mutter. Irgendwas in der Richtung? Aber da ist nichts. Die sogenannte Mutter-Imago ist unauffällig. Nett und freundlich, wenngleich nicht sonderlich intensiv, doch ganz bestimmt nicht bösartig zum Einzelkind. Der Vater hingegen ist eine klassische beamtische Existenz: Rundgeschliffen, angepasst, unauffällig, konform. So ziemlich der Letzte, der ausrasten würde. Auf Taubenfüßen bringt der Klient mir bei, dass genau hier das Problem liegt. Der Vater, offenbar übervorsichtig auf Eigensicherung bedacht und in erster Linie bestrebt, bloß nicht angreifbar zu sein, war als Vater nicht existent: freundlich-nichtssagend, pflichtbewusst und belanglos, emotional besehen kein wirklicher Daddy, sondern ein Vakuum. Heißt übersetzt: Ich hatte so viel kindliche Liebe für ihn, aber ich bin sie nie losgeworden. Er hat sie mir nie abgenommen. Ich bin drauf sitzengeblieben wie auf einer nicht abgeholten Sendung. Man könnte auch sagen: Der Klient ist unter dem Gewicht seiner ungelebten Liebe in die Knie gegangen. Und in seiner Kinderseele hieß das: Sie ist nichts wert, niemand will sie. Nichts, was von mir kommt, ist etwas wert.

Manager bewahren Haltung. Sie sagen nicht: „Es tut so weh.“ Sie sagen lieber: „Mann, ist das eine Scheiße!“, während ihre Lippen zittern und ihnen ganze Lichterketten aufgehen.
Also nochmal zum Mitschreiben: Kinder haben ein Herz voller Liebe. Nimmt man ihnen die nicht ab, nehmen sie Schaden. So einfach ist das, und doch so schwer.

Müßig zu sagen, dass man Aufmerksamkeit und Zuwendung erzwingen kann, indem man einfach etwas falsch macht, wenn der Primärkanal für Zuwendung verschlossen ist. Kinder sind findig. Sie holen sich, was sie brauchen, auch wenn sie dann nur das „Zweitbeste“ bekommen: eben den Rüffel, der in unserem Falle auch eher beiläufig vorgetragen wurde, auch ohne echten emotionalen Anteil.
Der Klient jedenfalls räumt sich selbst innerhalb weniger Wochen auf, als hätte er nur darauf gewartet. Hat er ja auch. Seine weitere Karriere verläuft regelrecht und zu seiner Zufriedenheit.

Nach vierzehn Jahren Coaching-Erfahrung: Am Ende hat ALLES mit Liebe zu tun. Und wo sonst bekommt man schon solche Erlebnisse?

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